
Draußen ist es heiß, der alljährliche Sommerurlaub mit der Familie steht kurz bevor. Auch in diesem Jahr wieder eine Woche Spanien, wo es »uns« so gut gefällt. Dabei ist die Welt doch so groß…Kurz ertappst Du Dich bei dem Gedanken daran, wie es wohl wäre, nach Costa Rica zu reisen, nach Kambodscha oder nach Norwegen. Dort wolltest Du schon so lange einmal hin. Einfach aufbrechen, einfach mal alles hinter Dir lassen. Einfach auf und davon. »Geht aber nicht!«, denkst Du. Denn Dein Mann ist da bodenständiger und für die Kinder – sofern Du welche hast – ist das doch viel zu gefährlich. Also auch in diesem Jahr wieder Spanien, denkst Du und fügst Dich in Dein Schicksal.
Tröste Dich – damit bist Du nicht allein! Im Gegenteil! Es ist erstaunlich, wie gering weiterhin die Anzahl alleinreisender Frauen ist. Trifft man sie, so stellt man fest, dass es meist sehr junge ungebundene Frauen sind oder solche über Fünfzig, die es endlich wagen, ihren Traum vom Reisen zu erfüllen. Aber was ist mit den Frauen zwischen Dreißig und Fünfzig? Sollten wir nicht meinen, dass hierzulande im Jahr 2022, nach über einhundertfünfzig Jahren frauenpolitischer Aktivitäten, sich in den Köpfen der Menschen etwas verändert hat?
Dass Rollenmuster schwer abzulegen und gewissermaßen inkorporiert werden – dazu müssen wir keine Studien bemühen. Wir müssen uns auch nicht die neusten Zahlen ansehen zum Frauenanteil in Chefpositionen. Nein, es reicht ein Blick aus dem Fenster um zu erkennen: viele Frauen sehnen sich zurück nach den Fünfziger- und Sechzigerjahren, dem Golden Age of Marriage. So ist es auch nicht verwunderlich, dass in gesättigten Mittelschichtmilieus das Must-have an Kindern die Zahl Drei angenommen hat – man muss es sich eben leisten können. Besser gesagt Frau! Denn auch Frauenquote, Elternzeitregelung und gendersensibler Sprachgebrauch können nicht über den Fakt hinwegtäuschen, dass die Kindererziehung weiterhin zum Großteil bei den Gebärenden hängenbleibt. Die nach Jahren des Zurückstellens eigener Wünsche gefälligst attraktiv, anpassungsfähig und gut gelaunt bleiben sollen – auch dann noch, wenn der Ehemann sich vor lauter Langeweile eine junge Abenteurerin anlacht.
Und jetzt? Schnell den Text abbrechen und sich ärgern über die selbstgefällige Schreiberin, die ja gut reden hat, so ohne eigene Kinder? Die bei diesem Thema bitteschön anderen das Feld überlassen sollte? Jetzt kommt die bittere Wahrheit, meine lieben Geschlechtsgenossinnen: Deine Kinder sind keine Ausrede, Dich aufzugeben.
Carol Gilligan zufolge verstummen Mädchen, weil das, was sie denken und fühlen, nicht gesagt werden darf. Als ›Seelentod‹ bezeichnet sie, wenn das Ungesagte nicht einmal mehr gefühlt und gedacht wird – Folgen eines Anpassungsdrucks, dem beständigen Anspruch an sich selbst, der Normvorstellung des ›perfekten Mädchens‹ entsprechen zu müssen (Sanyal, 2008). Was bedeutet das für Frauen?
Du allein hast dein Leben in der Hand. Du allein entscheidest, ob du glücklich sein willst oder nicht. Geh Deinen eigenen Weg und schäme Dich nicht für Deine Wünsche und Bedürfnisse!
»Das geht aber nicht. Ich bin doch verheiratet. Ich habe doch Kinder. Ich muss mich um meine Familie kümmern.« Betrüge Dich nicht selbst! Befreie Dich von Moralvorstellungen und zugewiesenen Rollenverständnissen, die Dich einengen und zum Verstummen bringen! Denke und fühle!
Wenn du mit dir selbst unzufrieden bist, Dich innerlich leer fühlst, kannst Du auch nicht denjenigen Menschen Freude schenken, die Du liebst. Und ist es nicht gerade das, was Du willst? Den Menschen Freude schenken, die Du liebst?
Also was tun? Pack’ Deinen Rucksack und dann ab in die Welt! Merle und Luca halten es auch mal eine Weile bei Papa aus oder freuen sich auf Oma. Es muss nicht gleich Costa Rica sein. Du kannst vor Deiner Haustür beginnen. Zieh Deine Wanderschuhe an und mach Dich auf den Weg. Auf deinen Weg. Du bist nämlich nicht nur Mutter und Ehefrau, du bist vor allem eins: ein selbstbestimmter Mensch.
Quellen
Sanyal, M. (2008). Wie weiter – offene Fragen und neue Positionen. Bundeszentrale für Politische Bildung. https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/frauenbewegung/35301/wie-weiter-offene-fragen-und-neue-positionen/#node-content-title-2 [Stand: 31.07.22]
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