Mit den Namen erschaffen wir Alter Egos und für mich explizit die Möglichkeit im Derby Kontext noch mehr die Person zu sein, die ich in dem professionellen Alltag durch gesellschaftliche Normen und Zwänge leider nicht immer sein kann.
Filthy Fay Shampain

Das, was an uns in anderen Sportarten als „Makel“ gesehen wird, benutzen wir hier auf verschiedenen Positionen mit unterschiedlichen Skills als Stärken!
Filthy Fay Shampain
A: Roller Derby? Erkläre uns doch bitte in wenigen Sätzen, was das eigentlich ist.
F: Roller Derby ist ein frauendominierter Vollkontaktsport auf Rollen und wird auf einer ovalen Bahn gespielt. Das Spiel besteht aus zwei 30-minütigen Halbzeiten, die wiederum in Runden, sogenannte „Jams“, unterteilt sind. Die „Jammer*in“, erkennbar an der Helmhaube mit Stern, erzielt als einzige Spielerin ihres Teams Punkte durch das Überrunden von Gegner*innen. Die vier „Blocker*innen“ aus jedem Team haben die Aufgabe, die gegnerische Jammerin aufzuhalten und der eigenen Jammerin einen Vorteil zu verschaffen. Jeweils eine Blockerin ist „Pivot“. Sie trägt eine Helmhaube mit Längsstreifen. Nur ihr darf die Jammerin durch einen „Star Pass“ die Haube und damit ihre Position übergeben. (Nähere Infos unter: https://rollerderbygermany.de/?page_id=15).
A: Was ist für Dich das Besondere an Roller Derby?
F: Roller Derby ist herausfordernder Vollkontaktsport auf der einen Seite und gleichzeitig viel mehr als nur der Sport, der uns alle vereint. RD, wie wir es heute spielen, ist im Zuge der Riot Grrrl Bewegung entstanden, durch Frauen, die auf den ihnen zugewiesenen braven und zurückhaltenden Platz keinen Bock mehr hatten und aus dem starren gesellschaftlichen Korsett ausgebrochen sind. Heute ist es für mich die Zusammenkunft von überwiegend Frauen mit unterschiedlichen Lebensgeschichten, die sich gegenseitig off und on Track empowern, es ist der DIY Gedanke, der vom Training selbst Geben über die Vereinsaufgaben und Spielorganisation bis zum Merch und Wochenendkursen für Mädchen reicht. Es ist eine verbindende Gemeinschaft zu Menschen in anderen Ländern, die man noch nie gesehen hat und trotzdem durch Roller Derby eine direkte Vertrautheit und Offenheit da ist, die Wundervolles ermöglicht.
A: Wie bist Du dazu gekommen?
F: Ich habe in der Schlange beim Copyshop zwei Frauen vor mir gehabt, die Eindruck gemacht haben, selbstbewusst und stark. Sie haben sich übers Derby unterhalten bzw. dafür etwas gedruckt. Nach kurzer Internetrecherche habe ich das damals gerade neu gegründete „Team“ aus gerade mal einer handvoll Frauen, die sich draußen zum Skaten treffen, angeschrieben und ein Probetraining angefragt – ein halbes Jahr im Voraus! Denn ich war zu dem Zeitpunkt über das Semester weg, wollte aber unbedingt schon den Kontakt aufbauen! Als ich wieder in Marburg war, habe ich mir Rollschuhe vom Flohmarkt besorgt und bin ins Training gegangen, damals dann sogar schon in der Sporthalle. Inzwischen sind die Skates immer dabei, auf privaten oder geschäftlichen Reisen: irgendwo gibt es immer eine Möglichkeit zu skaten oder ein Derby Team in der Nähe, bei dem man mal vorbeischauen kann!
A: Du nennst Dich Filthy Fay ShamPain, Katha, die Protagonistin des Romans „In die Wellen!“ ist auf dem Track Hellcat Kate. Was hat es mit diesen Spieler*innennamen auf sich?
F: Mit den Namen erschaffen wir Alter Egos und für mich explizit die Möglichkeit, im Derby Kontext noch mehr die Person zu sein, die ich im professionellen Alltag durch gesellschaftliche Normen und Zwänge leider nicht immer sein kann. Die Namen werden manchmal vom Team vergeben oder man sucht sie sich selbst aus bzw. in Gesprächen mit anderen. „Was macht mich aus? Welche Stärken von mir will ich hervorheben?“
Filthy ist die dreckige, verruchte Seite, die meistens im Alltag einfach nicht adäquat oder angepasst ist, hier kann es ausgelebt werden: ob Dreck im Gesicht oder unsauber im Kopf, alles geht! Fay hat sich für mich dann einfach schön und passend angehört. Das ist auch mein Rufname, unter dem mich Menschen im Derby Kontext kennen. Oft kennen wir gegenseitig unsere bürgerlichen Namen gar nicht (mehr). Was oft zu spannenden Situationen auf der Straße oder bei z.B. bei Geburtstagen führt, da ein und dieselbe Person in verschiedenen Kreisen mit einem anderen Namen bekannt ist. ShamPain ist als Namenszusatz vor gar nicht allzu langer Zeit dazu gekommen. Ich habe das Wort gehört und war begeistert. Es hat sich nach mir angefühlt, vereint wundervoll viele Bedeutungen für mich: Es war das neu erschienene Lied einer Band, die ich mag, das ich bei einer drögen Überbrückungsarbeit gehört habe und das mich über die Zeit getragen hat. Ich trinke sehr gerne Sekt, gesprochen klingt es auch nach „Champain“. „Sham pain“ bedeutet übersetzt Scheinschmerz. „Pain“, das gute Gefühl sich zu spüren, wenn wir gegeneinander „rempeln“ oder mir meine Grenzen bei Stürzen aufgezeigt werden. Die blauen Flecken oder sogenannten „derby kisses“ tragen wir mit Stolz! Passend war für den Namenswechsel ein neuer Lebensabschnitt und ein neues Team. Filthy Fay in dem einen, Fay ShamPain in dem anderen, deshalb der lange Gesamtname. Klingt kompliziert, ist aber unglaublich befreiend!
A: Roller Derby ist mehr als nur ein Sport. Inwiefern ist Roller Derby ,bunt‘ und welche Rolle spielen Queer-Feminismus, Empowerment und Inklusion?
F: Das ist eine Frage, auf die es für mich keine einfache Antwort gibt, da die angesprochenen Thematiken komplex und eine tiefergehende Unterhaltung wert sind! Ich persönlich bekomme durch die Derby-Community Einsicht in Themen, die ich ohne dieses Sammelbecken von überwiegend FLINTA* -Persönlichkeiten nicht so sehr bekommen würde. Das macht meine Bubble ein wenig größer. Ich ziehe enorm viel Kraft aus meinem Team. Diese hilft mir passiv, um z.B. den Alltag besser zu machen (Montags im Training mit einem *BÄHM* in die Woche starten, um das *meh* aus dem Arbeitsmontag zu vertreiben) oder bei aktiven Dingen, um z.B. besser für mich als Frau und auch für andere im Alltag einzustehen und auf Missstände im professionellen Unternehmensumfeld aufmerksam zu machen und die Welt um mich mit jedem kleinen Kampf ein wenig besser oder zumindest offener/toleranter zu machen.
A: Ich bin nicht besonders sportlich und Rollschuhfahren kann ich auch nicht? Kann ich trotzdem mitmachen?
F: Klaro!!!! RD auf Skates ist für jede Person etwas! Du kannst nicht skaten? Das Skaten kann gelernt werden und das macht auch viel mehr Spaß, mit anderen. Du glaubst nicht sportlich zu sein? Das, was an uns in anderen Sportarten als „Makel“ gesehen wird, benutzen wir hier auf verschiedenen Positionen mit unterschied-lichen Skills als Stärken! Mein persönlicher Lieblings-geburtstagsgruß meines Teams, der mich immer wieder daran erinnert: „Du blockst so schön mit deinem Po – wie sagt man das charmant? Du bist wie eine Panzer-wand, drum lieben wir dich so!“ Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit werden mit jedem Training besser und wir feiern unsere (noch so kleinen) Erfolge gemeinsam. Du magst kein Vollkontakt, aber skaten? Genau richtig als Skating Official (SO). Zum Anderen gibt es viele wichtige Aufgaben auf oder abseits des Tracks ohne Skates: Non-Skating-Officials (NSO), Vereinsarbeiten, Krafttraining geben, Spielorganisation, Merchverkauf und bei der Fanbase kann mitgewirkt werden.
A: Darum ist Roller Derby für Hellcats: Warum du unbedingt Roller Derby ausprobieren solltest!
F: Ich verstehe die Frage nicht, sie sollte lauten: Wie finde ich am schnellsten das nächstgelegene Team, um es endlich auszuprobieren (Spoiler: über die gängigen Online-Suchmaschinen oder Sozialen Medien)? Ne wirklich: komm zum Roller Derby! Es gibt so viele unterschiedliche Teams und eins, da passt du genau rein! Schwerpunkt DIY, politisches Engagement, sportlicher Wettkampf (wir haben immerhin drei Bundesligen!)…., finde es heraus und bring dich mit ein!
A: Vielen Dank für diese spannenden Einblicke in Roller Derby!
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