Die Nordsee birgt reichhaltige Schätze. Das wissen nicht nur die Krabbenfischer, die ihre Existenz bedroht sehen, seit die EU Pläne vorgelegt hat, Grundschleppnetze zu verbieten. Die Fangmethode mit den beschwerten Netzen, die über den Meeresboden pflügen und dabei Erschütterungen auslösen, steht in der Kritik, Lebensraum in der Nordsee nachhaltig zu zerstören.
Hauke Spiekdahl, der ehemalige Fischer und Freund der Protagonistin Antonella »Kante« Lestrato aus dem gemeinsamen Krimiprojekt Mörderische Tide (gemeinsam mit Autorenkollegen André Wegmann), hat sich dem Kampf gegen die Ausbeutung der Nordsee verschrieben.
Anstatt Krabben und Plattfische schreckten die beschwerten Netze, die über den Meeresboden pflügten und dabei Erschütterungen auslösten, Organismen jeder Art auf, töteten und zerstörten Lebensraum.
Die langgezogenen Schreie zweier Möwen durchschnitten die Ruhe, die Kante wieder und immer wieder um diese Uhrzeit an die Mole führte. Die Sonne ging allmählich unter und mit ihr schien der Hafen zu neuem Leben zu erwachen. Einige Meter von Haukes Boot entfernt legte ein größerer Fischkutter ab und setzte sich langsam in Bewegung, gefolgt von einer Möwenschar.
»Ihr Biester wisst genau, dass es gleich Abendbrot gibt«, nuschelte sie in ihren Schal hinein. Sie dachte an die unzähligen Lebewesen, die sich in den riesigen Netzen verfingen. Hauke hatte es ihr erzählt. Wie so viele andere Dinge über das Meer und die Menschen. Sein vielleicht letzter Kampf galt der Ausbeutung der Nordsee. Er mochte keine Kriegsflotte haben, aber er war nicht allein.
Kante ahnte, dass Hauke Spiekdahl nicht bloß Unterschriften für seine Petitionen sammelte oder Reden vor den »Wattredders«, seinen Mitstreitenden schwang, die sich dem Schutz der Nordsee verschrieben hatten. Nein, Kante mutmaßte, dass es einen äußerst handfesten Grund gab, warum er inmitten der Fischer lebte, deren zerstörerische Fangmethode er bis ins Mark verabscheute.
Die Fischer hier hatten trotz aller Widrigkeiten bis heute durchgehalten, obwohl die tradierte Fischereimethode schon in der Vergangenheit von zahlreichen Umweltschutzorganisationen aufs Schärfste kritisiert worden war. Die Krabbenfischer hielten dagegen, der Beifang würde zurück ins Meer geworfen.
Die Möwenschar, die dem großen Kutter folgte, der inzwischen Fahrt aufgenommen hatte, schien sich laut keifend um den besten Platz dicht an den Baumkurren zu zanken.
Das Argument der Fischer war Schwachsinn, hatte Hauke ihr erklärt. Der »Beifang« war dem Tod geweiht. Die Fische wurden im Netz schlichtweg von den anderen Tieren zerquetscht und ihre Schwimmblase platzte. Eine Tonne Shrimps, fünfzehn Tonnen Beifang. Das sagte die Statistik. Anstatt Krabben und Plattfische schreckten die beschwerten Netze, die über den Meeresboden pflügten und dabei Erschütterungen auslösten, Organismen jeder Art auf, töteten und zerstörten Lebensraum.
Nicht nur zur Nahrungsmittelgewinnung ist die Nordsee ein lukratives Geschäft. Spätestens seit dem Ukrainekrieg und den wirtschaftlichen Folgen wird wieder offener über Fracking debattiert, einem Verfahren, bei dem Erdgas unter enormem Druck mittels gesundheitsbedenklicher Chemikalien aus Gestein gelöst wird. Hierzu sind Bohrungen erforderlich, die sich negativ auf das fragile Wattenmeer auswirken und ein Absinken des Meeresbodens zur Folge haben können, was die Flutgefahr erhöht.
In nachfolgendem Auszug aus dem Krimiprojekt konfrontiert Protagonist Hauptkommissar Robert Strater Mathis De Jong, Deutschlandchef eines niederländischen Energiekonzerns:
»That’s Business«
»Die Exploration und Förderung von Erdöl und Erdgas ist einer unserer Geschäftsbereiche. Darüber hinaus kümmern wir uns um den Vertrieb dieser Rohstoffe. Das ist aber noch nicht alles, wir sind außerdem in der Petrochemie tätig und natürlich sind die erneuerbaren Energien ein wichtiges Betätigungsfeld für uns.«
Strater schmunzelte und wandte den Blick ab.
»Was erheitert Sie?«, fragte De Jong sichtlich irritiert.
»Ein weltweit agierender Ölkonzern, der viele Jahrzehnte ohne Rücksicht auf Verluste überall nach Öl und Gas gebohrt hat, bewirbt sein Engagement im Bereich der erneuerbaren Energien auf seiner Webseite mit sattgrünen Feldern und Schlagworten wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie und ist Greenwashing in Reinkultur, meinen Sie nicht?« Strater spürte einen Moment dem befriedigenden Gefühl nach, das Gegenüber mit seinen Worten aus dem Konzept gebracht zu haben.
»Nun, wir sind in diesem Sektor wirklich sehr aktiv, deswegen haben wir hier in Norden ja auch ein Büro eröffnet.« De Jong verzog seinen Mund zu einem Schlitz.
»Das mag sein und weil Sie bei Norderney nach Erdgas bohren wollen, richtig?«, setzte Strater nach.
»Dort befindet sich ein riesiges Erdgasfeld mit etwa sechzig Milliarden Kubikmeter vermutetem Gesamtvolumen. Wir haben eine Bohrlizenz beantragt und möchten dort eine Bohrinsel errichten.«
»Das ist sicher ein aufwändiges und teures Vorhaben?«
»Die Ölförderung in der Nordsee ist generell kompliziert und kostenintensiv. Das Wetter ist sehr instabil, es ist häufig stürmisch, Orkanböen über einhundertfünfzig Stundenkilometer sind draußen auf dem Meer keine Seltenheit. Offshore-Bauarbeiten können daher nur im Sommer durchgeführt werden und das Material muss sehr widerstandsfähig sein, um den zum Teil extremen Witterungsbedingungen zu trotzen. Das kostet natürlich«, De Jong blickte kühl auf Strater hinab, »aber als multinational agierender Konzern ist das kein Problem für uns.«
»Das denke ich mir. Wenn das Gas erst mal gefördert wird, bewegen sich Ihre Umsätze sicher in Größenordnungen, die für Normalbürger kaum zu begreifen sind.«
»That’s Business«, sagte De Jong und Strater verspürte den starken Drang, seinem Gegenüber eine reinzuhauen. »Zumindest ein Teil davon.«
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